Datenschutz für Jedermann: Die Qual (vor) der Wahl

Datenschutz für Jedermann

Wie in jedem demokratischen Land steht auch in 2019 wieder die eine oder andere Wahl vor der Tür: So wählen wir alle am 26. Mai unsere Abgeordneten für das europäische Parlament, zudem finden am selben Tag Kommunalwahlen in Bremen (dort ist auch Bürgerschaftswahl), Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen statt. Am 01. September folgen dann noch Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, und am 27. Oktober stellt sich auch der thüringische Landtag der Wahl. Das bedeutet natürlich auch, dass wieder Unmengen an Schreiben, Flyern u.ä. in unseren realen und digitalen Briefkästen wandern. Zeit, dieses Thema mal unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu beleuchten.

Wie kommen die Parteien an meine Daten?

Tatsächlich haben Parteien, Wählergruppen u.ä. die Möglichkeit, solche Daten von der zuständigen Meldebehörde, also im Regelfall dem heimischen Einwohnermeldeamt, zu erfragen.

Wie bitte?

In der Tat dürfen Parteien o.ä. eine sog. Melderegisterauskunft einholen, in welcher dann die Informationen stehen, welche sie ggf. im Rahmen ihrer Wahlwerbung verwenden wollen. Rechtliche Grundlage hierfür ist § 50 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG), welcher auf den § 44 Abs. 1 S. 1 BMG verweist. Danach dürfen Familienname, Vornamen, Doktorgrade, Adressen sowie die Tatsache, ob jemand verstorben ist oder nicht, an die Träger von Wahlvorschlägen, wie sich die Kandidaten einer Wahl im Juristendeutsch nennen, weitergegeben werden.
Rechtliche Grundlage für die Erhebung dieser Daten ist auf Seiten der Wahlkandidaten Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO, also das schon desöfteren angesprochene berechtigte Interesse.

Kurzer Exkurs: Berechtigtes Interesse

Der Passus „Berechtigtes Interesse“ ist in im Recht sehr beliebter, jedoch extrem unbestimmter Rechtsbegriff. Beliebt, weil wir ihn im Mietrecht, im Verwaltungsrecht, im Grundbuchrecht usw. wiederfinden. Unbestimmt deshalb, weil es nirgendwo eine absolut verbindliche Definition dessen gibt, was als berechtigtes Interesse anzusehen ist und was nicht. Wichtig ist nur, dass es konkret bestimmbar sein muss. Ansonsten reicht jedes Interesse aus, das von der Rechtsordnung gebilligt, also legal ist. Solange ich folglich mit der Datenverarbeitung einen berechtigten und legalen Zweck verfolge, besitze ich folglich auch ein berechtigtes Interesse an dieser Datenverarbeitung. Das klingt sehr ausufernd, nicht wahr? Aus diesem Grund gibt es in Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO, welcher das berechtigte Interesse als Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung definiert, auch direkt die Einschränkung, dass keine Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Wenn ich als Verantwortlicher also eine Datenverarbeitung auf mein eigenes berechtigtes Interesse stützen möchte, muss ich zunächst eine Abwägung vornehmen, ob die Interessen desjenigen, dessen Daten ich verarbeiten will, nicht doch überwiegt. Und auch hier gibt es wieder keine 100% eindeutige Regelungen, aber wir können auf jeden Fall festhalten, dass die Interessen oder Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Person immer größere Beachtung finden, wenn z.B.:

  • viele unterschiedliche Daten des Betroffenen verarbeitet werden (z.B. im Profiling);
  • viele Daten des Betroffenen verarbeitet werden (z.B. Web-Protokollierung);
  • wenn anhand der verarbeiteten Daten Rückschlüsse auf das Verhalten des Betroffenen gezogen werden können (z.B. Videoüberwachung).

Im schlimmsten Fall können in bestimmten Fällen die Rechte und Freiheiten des Betroffenen schwerer wiegen als die Interessen der verantwortlichen Stelle, also der Firma o.ä., die die Daten verarbeiten möchte. Daher empfehle ich meinen Kunden, die entsprechende Datenverarbeitung anders rechtlich zu begründen – außer vielleicht mit einer Einwilligung, aber das führt zu weit vom Thema weg.

Wahlwerbung: Was kann ich dagegen unternehmen?

Gegen die Übermittlung meiner personenbezogenen Daten kann ich als betroffener Bürger jederzeit Widerspruch einlegen; die entsprechende Ermächtigung ergibt sich aus § 50 Abs. 5 BMG. Dieser Widerspruch ist gegenüber der zuständigen Meldebehörde, also gegenüber dem Einwohnermeldeamt des Hauptwohnsitzes einzureichen. Eine besondere Formvorschrift für die Erteilung des Widerspruchs gibt es nicht, ebensowenig wie eine Pflicht zur Begründung. Aus Gründen der Nachweisbarkeit und des rechtlichen Zugangs empfiehlt es sich, den Widerspruch schriftlich einzureichen oder persönlich bei der Behörde vorstellig zu werden. Ein Muster für den Widerspruch gegen die Übermittlung von Daten aus dem Melderegister an Parteien u.ä. wurde vom Thüringischen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit (TLFDI) veröffentlicht und ist hier zu finden: https://www.tlfdi.de/mam/tlfdi/info/anlage_widerspruch_gegen_datenuebermittlung.pdf

Was ist die Folge des Widerspruchs?

Wenn ich der Weitergabe meiner Daten widerspreche, bedeutet dies, dass die Meldebehörde meine Daten nicht mehr im Rahmen einer Melderegisterauskunft nach § 50 BMG an Parteien, Wählergruppen oder andere Träger von Wahlvorschlägen weitergeben darf. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Daten im Melderegister gespeichert sind (die Pflicht zur Datenspeicherung ergibt sich aus § 3 BMG und ist damit eine rechtliche Verpflichtung, gegen die kein Widerspruch möglich ist) und im Rahmen anderer Umstände an Dritte weitergegeben werden können (z.B. im Falle eines Umzugs an die neue Meldebehörde, § 33 BMG, aber auch im Rahmen einer Melderegisterauskunft nach § 44 BMG). Der Widerspruch gilt dauerhaft, muss also nicht vor jeder Wahl erneuert werden.

Bekomme ich dann wirklich keine Wahlwerbung mehr?

Ganz ehrlich? Jein. Es gibt natürlich noch weitere Gründe, warum man Wahlwerbung erhalten kann. Bspw. ist man selbst Parteimitglied und erhält daher die Werbung aus der Mitgliedschaft heraus. Dann spielen die Daten aus dem Melderegister keine Rolle. Ebenso, wenn ich mich an irgendeiner Stelle (hallo Gewinnspiele!) für den Erhalt von Werbung angemeldet, sprich: in die Verarbeitung meiner Daten zum Zwecke des Versands von Werbung eingewilligt habe. Oder was vielleicht der häufigste Fall ist: Die Werbung ist gar nicht personalisiert, sondern landet als Postwurfsendung im Briefkasten. Dagegen hilft dann nur der berühmte Zettel am Briefkasten: „Bitte keine Werbung!“.

Fazit

Parteien, Wählergruppen u.ä. haben das Recht, personenbezogene Daten im Rahmen einer Melderegisterauskunft von den Meldebehörden zu erhalten. In § 50 Abs. 1 BMG gibt es eine Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung, und der Versand von Wahlwerbung stellt ein berechtigtes Interesse im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung dar. Gegen diese Übermittlung der Daten kann man als Bürger nach § 50 Abs. 5 BMG Widerspruch einlegen; danach dürfen Ihre Daten nicht mehr für Zwecke der Wahlwerbung an Parteien etc. übermittelt werden. Da die Parteien verpflichtet sind, die alten Datensätze nach Ende der Wahl zu löschen, sollte es theoretisch nicht mehr möglich sein, von diesen Parteien personalisierte Wahlwerbung zu bekommen. Wenn doch, ist dies mit sehr großer Wahrscheinlichkeit (s.o.) ein Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht. In diesem Fall bietet es sich an, eine Beschwerde bei Ihrem Landesdatenschutzbeauftragten einzureichen. Diese sind immer an solchen Verstößen interessiert und werden den Fall zeitnah und effektiv bearbeiten. Die Adresse Ihres Landesdatenschutzbeauftragen können Sie in dieser Liste finden: https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Anschriften_Links/anschriften_links-node.html

Quellen

https://www.tlfdi.de/mam/tlfdi/presse/echo/190206_pm_widerspruchsrecht_gegen_wahlwerbung.pdf
https://www.tlfdi.de/mam/tlfdi/info/anlage_widerspruch_gegen_datenuebermittlung.pdf
https://www.datenschutz-wiki.de/28_BDSG_a.F._Kommentar_Absatz_1_Teil_2
https://de.wikipedia.org/wiki/Berechtigtes_Interesse
https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Anschriften_Links/anschriften_links-node.html

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